Am neunten August waren wir mit Frau Kazui Yabe verabredet. Sie arbeitet als Kabuki Guide für Touristen in Tokyo. Da wir etwas zu früh vor Ort waren, spazierten wir in der Gegend herum und stießen auf ein Gebäude, das an ein Museum oder einen indischen Palast erinnerte.
Die Beschriftung auf dem Schild belehrte uns, dass dies ein Tempel sei. Der Tsukiji Hongwanji Tempel ist der Ersatzbau für den Tsukiji Gobo Tempel, der beim großen Kanto Erdbeben zerstört wurde. Dieser wiederum war als Ersatz für jenen Tempel errichtet worden, welcher 1657 beim großen Feuer Tempel bei Yokoyama-cho bei Asakusa abgebrannt war.
Der jetzige Bau datiert zurück auf das Jahr 1934 und gehört zur Sekte des Shin Buddhismus, gegründet von Shinran Shonin (1173-1263).
Wenn man den Tempel betritt kommt man sich gar nicht vor, als ob man in einem Tempel wäre, vielmehr scheint es, als hätten die Erbauer die Farbigkeit und Verspieltheit indischen Prunks mit Eindrücken aus imposanten Kirchenbauten vermischt. Entstanden ist ein dreischiffiger Bau mit gewaltigen Säulen, Stuhlreihen (wo sonst in Tempeln die Betenden auf dem Tatamiboden sitzen). Es gibt sogar eine Orgel. Der Hauptschrein mit Amida Buddha (dem Buddha der Weisheit und des Mitgefühls) erinnert an einen Hauptaltar. Die bunten Flammengebilde rechts und links entsprechen jenen Plätzen, wo bei der Morgenandacht die beiden Mönche sitzen, die dem Hauptpriester beim Sutrarezitieren unterstützen.
Wir trafen uns pünktlich mit Frau Yabe und setzten uns in ein sehr schönes, traditionelles Cafe, um bei Tee und Süßigkeiten (Moni hatte grünes Tee-eis und ich süße rote Bohnen mit kleinen Mochis/Klebereiskügelchen) über das Theater und die beiden Stücke, die bei der Matinee gespielt wurden, zu informieren.
Frau Yabe hatte uns im Vorfeld die Karten besorgt und erzählte uns einiges über das Theater, die Schauspieler, die auftreten werden usw. Die Stunde, die wir im Cafe saßen, verging sehr rasch.
In Osaka haben wir uns nicht getraut im Theater überhaupt zu fotografieren. Dank Frau Yabe war das in Tokyo anders. Während der Vorstellung war das Fotografieren nach wie vor verboten, aber wir konnten den Saal, unsere Loge und die Vorhänge (der gestreifte vor und nach der Vorstellung, die schönen Bildervorhänge zwischen dem ersten und dem zweiten Stück der Matinee) fotografieren.
Das erste Stück hieß "Nozakimura" und war ursprünglich 1780 für das Bunraku Puppentheater geschrieben worden, ehe ein Ausschnitt davon für das Kabuki überarbeitet und angepasst wurde. Vom Bunrkau übernommen wurde der Part des Erzählers, der die Gefühle der Personen schildert, die im Stück auftreten (beim Bunraku sprechen die Puppen ja nicht).
Die Geschichte spielt im Dorf Nozaki, wo das Landmächen Omitsu sich auf ihre Hochzeit vorbereitet. Sie freut sich darauf Hisamatsu zu heiraten, der von ihren Eltern als kleines Kind adoptiert worden ist und mit zehn Jahren in die Stadt zu einem reichen Kaufmann kam, um dort ausgebildet zu werden.
Jetzt ist er zürck und da Omitsus Mutter schwer krank ist, soll endlich die Hochzeit stattfinden. Was Omitsu nicht weiß, ist, dass Hisamatsu nicht freiwillig gekommen ist, sondern weil er fälschlicherweise des Diebstahls beschuldigt wurde. Sein Adoptivvater, Omitsus Vater, hat das Geld zurückgezahlt, verlangt von Hisamatsu aber im Gegenzug endlich wie abgemacht, Omitsu zu heiraten.
Doch Hisamatsu hat sich längst in Osome verliebt, die Tochter seines Arbeitgebers. die Liebe der beiden Teenager hat jedoch keine Zukunft, weil Osome einem rechen Kaufmannssohn versprochen ist und Hisamatsu zu weit unter ihr steht, um sich jemals Hoffnungen machen zu dürfen.
Er hat Osome gebeten, ihn zu vergessen, und will seine Pflicht Omitsu gegenüber erfüllen.
Doch Osome reist ihm nach und die beiden erneuern ihren Liebesschwur, bereit gemeinsam Selbstmord zu begehen. Nicht einmal die flammende Rede von Omitsus Vater kann Hisamatsu überzeugen. Erst als Omitsu auftritt, in der Robe einer Braut und enthüllt, dass sie sich unter der Haube die Haare geschnitten hat, um als Nonne in ein buddhistisches Kloster einzutreten, gerät der Selbstmordplan der unglücklich Liebenden ins Schwanken. Das Opfer von Omitsu, die auf alles Liebesglück verzichtet, damit die beiden nicht ihretwegen getrennt werden, berührt alle. Dann taucht auch noch Osomes Mutter auf, die ihrer Tochter nachgereist ist und überredet die beiden Liebenden zur Rückkehr. Sie hat das Geld dabei, das Omitsus Vater an ihren Mann gezahlt hat. Mittlerweile hat sich nämlich herausgestellt, dass Hisamatsu nicht der Dieb war.
Die beiden Liebenden werden überredet, auf getrenntem Weg in die Stadt zurückzukehren. Es kommt zu einer großen Abschiedszene, wo Osome und ihre Mutter mit dem Boot abreisen, Hisamatsmu mit der Sänfte über Land und Omitsu und ihr Vater allen Lebewohl sagen.
Damit ist die Kabuki-Version zu Ende, im Original Bunraku Stück haben die beiden Liebenden am Schluss doch Selbstmord begangen.
Nach dem Stück war Pause, und jeder hat sein Bento gekauft oder ausgepackt, was er mitgebracht hat. Die Pause ist nur 30 Minuten lang. Wir hatten dank Frau Yabi ein Bento bei den Köchen des Theaters bestellt (ein besonderer Service für die Logenplätze), das uns unauffällig während der Vorstellung auf einem Klappstuhl abgestellt worden war. Es sah wunderschön aus und schmeckte vorzüglich.
Das zweite Stück war ein Tanzstück. Eine junge Hofdame wird gebeten, für ein Fest einen Tanz vorzuführen. Scheu und schüchtern versucht sie mehrere Tänze, drückt dabei ihre Gefühle über das
isloierte Leben am Hof und ihre Sehnsucht nach der großen Liebe aus und nimmt sich für den letzten Tanz den geschnitzten Kopf eines Shishi-mai, eines Löwengeistes, vom Altar. Dessen Bewusstsein
ergreift von ihr Besitz. Sie verlässt die Bühne, es folgt ein Zwischenspiel zweier Schmetterlinge, deren Geister die Gestalt junger Mädchen angeommen haben und ihre Lebensfreude und
Vergänglichkeit ausdrücken. Dann kommt der große Auftritt des Shishi-mai persönlich, in den sich die Hofdame verwandelt hat.
Die beiden Hauptrollen, die Hofdame und der Löwengeist, werden vom gleichen Schauspieler dargestellt, was eine große Herausforderung darstellt, sind die beiden Figuren doch sehr gegensätzlich. Auch ist die Perrücke des Shishi-mai, der senenn Kopf über 40mal schüttelt, sehr schwer und die Rolle verlangt absolute körperliche Fitness.
Nach der Vorstellung besuchten wir noch das Kabuki Museum, das im fünften Stock des Gebäudes untergebracht ist. Dort darf man natürlich nicht fotografieren. Ausgestellt sind derzeit einige Kostüme und Requisiten, sowie Entwürfe von Bühnenbildern. Besonderen Spaß macht es, die Geräuschhilfsmittel auszuprobieren. Man reibt zwei Muscheln aneinander und es klingt wie Froschquaken. Oder man kippt einen großen, länglichen Korb nach links und rechts, sodass Bohnen auf dem Korbboden mal so mal so rutschen und es klingt wie das Geräusch von Ozeanwellen.
Neben dem Museum wurde auf dem Dach ein kleiner Dachgarten eingerichtet, ein paar Beete, eine Steinlaterne und ein Rundweg. Von einer Treppe aus hat man einen guten Blick über das hübsche Dach.
Im unteren Bereich des Museums, im vierten Stock spaziert man an einer Galerie verstorbener Kabukischauspieler vorbei und kann Modelle der Vorgänger des jeztigen Kabukzia-Gebäudes betrachten.
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