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Coverscan von "Abendkranich"

Hisako Matsubara

Abendkranich

Eine Kindheit in Japan

 

Die Autorin, selbst  Tochter eines Shintopriesters, hat viel Autobiografisches in ihre Geschichte gepackt.  Hauptfigur ist Saya, zu Beginn der Erzählung bei Kriegsende 10 Jahre alt, später elf. Sie lebt mit ihrer Mutter und ihren zwei jüngeren Brüdern in einem kleinen Shintoschrein in Kyoto.

Die Menschen dieses Viertels verehren Sayas Vater, den Guji. Sie vertrauen seinem Rat und seinen Weissagungen. So hatte er auch recht, als er sagte, dass Japan den Krieg nicht gewinnen würde.  Doch mit der Radioansprache des Tenno ist das Leiden der Menschen nicht vorbei. Die Nahrung ist knapp, Arbeit noch knapper.

 

Und für Saya ist es eine Zeit, in der sie nach Orientierung sucht.  Sie hängt an ihrem Vater, sie liebt seinen Humor und dass er sie ernst nimmt und ihr zuhört. Gleichzeitig ist das aber auch die Mutter,  Tochter aus einer wohlhabenden Samuraifamilie, die an den alten Tradition hängt, ihren Ehemann gleichermaßen verachtet und beneidet und alles tut, um Saya gegen ihn aufzuhetzen. Unfähig, sich um den Haushalt zu kümmern, lädt sie die Arbeit in der Küche auch noch auf Sayas Schultern. Gleichzeitig säht sie auch Zwietracht zwischen Saya und ihrem jüngeren Bruder, und benutzt Bo, den jüngsten, an dem Saya sehr hängt, um Druck auf das Mädchen auszuüben. Hin und her gerissen zwischen den Eltern, leidet Saya auch noch unter der gehässigen Klassenlehrerin.

 

Mit einer christlichen Kirche und einem Pfarrer tritt ein neues Element in Sayas Leben. Sie mag den Pfarrer Jonas, der freundlich mit ihr spricht und ihr von Jesus erzählt. Sie besucht den Gottesdienst auch, um Englisch zu lernen. Es tut ihr weh, dass sie beim Krippenspiel nicht die Maria sein darf, weil sie nicht getauft ist. Auch die opportunistische Klassenlehrerin, die seit Kriegsende nichts Gutes mehr über die japanischen Regierung und den Tenno zu sagen hat, bevorzugt das einzige christliche Mädchen im Unterricht.

 

Als Saya entdeckt, dass auch ihr Vater als Shintopriester eine Bibel besitzt, einen Koran und andere religiöse Schriften lädt er sie ein, mit ihm darüber zu sprechen und dieses Gespräch löst Saya endgültig aus der Kontrolle ihrer gehässigen Mutter.  Diese versucht daraufhin alles, Saya wieder zurückzugewinnen. Doch so dankbar Saya auch ist, so sehr sie eine gute Tochter sein möchte, sie kann hinter die Maske ihrer Mutter blicken und es tut ihr weh. Die Mutter spürt, wie ihr Saya mehr und mehr entgleitet und zu ihrem Vater hält. Das macht sie nur noch wütender, gehässiger.

Dann wird erst Ruyo, krank, dann plötzlich auch der kleine Bo, der dann überraschend stirbt.

 

Saya tut sich schwer daran, diesen Verlust zu verkraften und erkennt in der Trauer ihrer Mutter lediglich deren Sucht, im Mittelpunkt zu stehen.  Weder die Erzählungen der buddhistischen Mönche noch die Jenseitsbeschreibungen des christlichen Pfarrers  bringen ihren Schmerz zur Ruhe. Das gelingt am Ende des Buches ihrem Vater mit einem Lied.

 

Abendkranich ist ein nachdenklich machendes, trauriges Buch. Eigentlich sind alle in der Situation unglücklich. Der Guji, der weiß, dass seine Frau ihn niemals akzeptieren kann wie er ist, und der sich nicht für sie verbiegen möchte.  Seine Frau, die lieber Zweige für ihr Ikebana schneidet, als den Kindern etwas zu Essen zu machen und für die der Schein alles gilt.  Der gleichgültige Ruyo, der es hasst, von seiner klugen, älteren Schwester in allem ausgestochen zu werden. Lediglich der kleine Bo nimmt alles mit Neugier und Begeisterung auf.  Und genau dieser kleine Sonnenschein wird Saya genommen. Das Mädchen zerbricht daran fast noch mehr wie an der Gehässigkeit der Mutter und der Unfairness ihrer Lehrerin.  Die Geschichte zeigt auch, wie hilflos die Religionen sind, wenn jemand echten Trost nach einem Verlust sucht.  Hilflos ist aber auch der Guji, dessen Vorhersagen ihn bezüglich seines eigenen Sohnes im Stich gelassen haben.

 

Eindrucksvoll und lebensnah schildert die Autorin die Nöte der Japaner nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, allein die Schilderung wie aus ausgetrockneten, harten Süßkartoffeln in mehrstündigen Arbeitsschritten Mehl und später Knödel gemacht werden,  zeigt, wie dringend dieses Land einen Marschallplan hätte gebrauchen können. Doch die Amerikaner taugen offenbar nur dafür den Panpan (wie die Japanerinnen heißen, die sich mit ihnen einlassen) dicke Bäuche zu machen.

 

Hisako Matsubara

Abendkranich

Eine Kindheit in Japan

Bastei Lübbe

4. Auflage 1989

319 Seiten

ISBN. 3404103114

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