Wolfgang Hermann
Das Japanische Fährentlesebuch
Als ich das dünne, orange Büchlein in der Bibliothek bei den Vorarlbergensien (von Vorarlberger geschriebene Werke) gefunden habe, war ich sehr gespannt auf den Inhalt.
Beim flüchtigen Durchblättern fiel mir gleich auf, dass es sich hier um Fragmente, Notizen handelte, nicht um eine durchgehende Erzählung.
Da das Büchlein keinen Schutzumschlag hat, verzichte ich darauf, die orange Fläche mit dem Autorennamen und dem Titel einzuscannen.
Zu Hause kuschelte ich mich in meine Lieblingssofaecke, drehte den Deckenstrahler auf und begann zu lesen.
Der Autor eröffnet das Buch mit denSchwierigkeiten bei seiner Einreise nach Japan, wo er (wie ganz hinten zu lesen ist) als Lektor an der Sophia Universität in Tokyo arbeitete.
An diese erste unglückliche Szene reihen sich Schnappschüsse von alltäglichen Szenen, kurze Erläuterungen, Gehörtes, Gelesenes und seine Sichtweise darauf. Man kann sich gut vorstellen, wie der Autor bei seinem Weg durch die Stadt anhält, die Menschen betrachtet, sein Notizbuch hervorzieht und ein paar Zeilen hinein kritzelt.
Er ist ein brillianter Beobachter, der kleine Details heraushebt um ein Gesamtbild zu schaffen, für das andere viele Seiten Beschreibung bräuchten.
Seine Sprache ist mitunter fast poetisch, sprachlich fesselnd, mit beeindruckenden Bildern und einer Sprache, die einen kaum loslässt.
Ich habe mich gefragt, zu welcher Zeit der Autor Tokyo erlebte. Vieles was er schildert, hätte gut in die 70ger Jahre gepasst, aber das Buch ist 2003 erschienen.
Das Buch "Darum nerven Japaner" schildert japanische Angewohnheiten mit Augenzwinkern und Humor. Hier fehlt beides.
Der Autor vermittelt mir eine distanzierte Sicht, die sehr von oben herab zu kommen scheint. Das liegt auch am Mangel von Namen. Der Autor hat nicht Menschen getroffen sondern Figuren. Es sind Japaner, Ausländer, Gaijin, der Leiter eines Dojo, eine Studentin.
Es wirkt, als hätte er vermieden, sich mit den Menschen näher einzulassen, als wäre er gezielt abgehoben geblieben. Seine Sprache ist schön, aber auch kalt.
Ein Absatz hat mir gar nicht gefallen, als er schildert wie in einer U-Bahn ein geistig behinderter Japaner einer Frau die Hand aufs Knie legt und erst aufhört, als seine Mutter mit ihm die U-Bahn verlässt. Er nennt diesen Behinderten einen "Idioten".
Wer sich selbst auf Fährtensuche begeben möchte, es lohnt sich, denn die Sprache lässt klar erkennen, warum der Autor mehrfachmit Preisen für seine Werke ausgezeichnet worden ist.
Wolfgang Hermann
Das Japanische Fährenlesebuch
Jahresgabe 2003 des Franz-Michael-Felder-Vereins
78 Seiten
Wer noch mehr Meinungen lesen möchte, der Autor hat eine sehr schön gestaltete Homepage, wo Rezensionen bekannter Printmedien zu finden sind.
Kommentar schreiben